Fachwerkhaus beherbergt ein Tauchbad

LZ-Serie „Unter Lippe“ (7): Das Fachwerkhaus des Ehepaars Ute und Günter Fischer in Lüdenhausen beherbergt ein Tauchbad. Das für die Region einmalige Zeugnis jüdischen Lebens wird durch Zufall entdeckt. Treppenstufen im Keller geben Rätsel auf

Sylvia Frevert

Kalletal-Lüdenhausen. Stille Wasser sind tief – das gilt manchmal auch für Häuser. Das ehemalige Kleinbauernhaus an der Bösingfelder Straße 10 in Lüdenhausen ist so ein stilles Wasser: Wer es nicht kennt, fährt achtlos daran vorbei, nicht wissend, dass das schlichte weiß-graue Fachwerkhaus nicht nur das älteste Haus Lüdenhausens ist und sich heute noch als typisches Straßenkötterhaus in den Verkehr des Ortes einmischt, sondern auch in seinem Keller ein für die Region einmaliges, lange Zeit unentdecktes Geheimnis birgt: ein jüdisches Tauchbad, eine sogenannte Mikwe.

Ute und Günter Fischer, die heutigen Hausbesitzer, ahnten nichts von dem kleinen Raum im Kriechkeller des Fachwerkhauses als sie das marode, bereits zur Straße hin abgestützte Haus 1997 kauften. Das im Ort als „Bökenhaus“ bezeichnete, im Jahr 1684 erbaute Straßenkötterhaus stand vor dem Verkauf bereits seit Jahren leer. „Niemand verstand damals, dass wir ‚den alten Kasten‘ kauften“, erinnert sich Ute Fischer. In enger Zusammenarbeit mit der Unteren Denkmalbehörde der Gemeinde Kalletal begann das Ehepaar die fachgerechte, sich über vier Jahre erstreckende Renovierung.

Einen ersten Hinweis auf das in dem mit Beton versiegelten und Schutt verfüllten Keller schlummernde „Judenbad“ erhielt das Ehepaar von einer Nachbarin. „Da in dem Haus war auch mal ein Brunnen“, soll sie Fischers erklärt haben, die sich seinerzeit über diese Aussage wunderten. „Ein Brunnen innerhalb eines Hauses erschien uns ungewöhnlich. Außerdem hatten wir ja noch nicht einmal den Keller entdeckt“, sagt Ute Fischer. Dieser trat bei Schachtarbeiten im Inneren des Hauses als kleiner Kriechtunnel an der rechten hinteren Seite der Fachwerkdeele zutage. Die Worte der Nachbarin noch im Ohr, gelang es Familie Fischer, die Wasserquelle mithilfe eines Wünschelrutengängers zu lokalisieren. In Erwartung eines Brunnens waren Fischers abermals verwundert als sie bei der Ausschachtung die ersten von insgesamt fünf Treppenstufen freilegten.

„Wir fanden es zwar seltsam, dass eine Treppe zu dem ‚Brunnen‘ führt, dachten aber, dass die Frauen vielleicht seinerzeit die Stufen benutzten, um das Wasser von Hand zu schöpfen“, sagt Ute Fischer. Die ungewöhnliche, da rechteckige Form des 1,20 mal 1,20 Meter breiten und 1,30 Meter tiefen aus Bruchsteinen gemauerten und mit Bodenplatten belegten „Brunnens“ gab ein weiteres Rätsel auf, das schließlich von einer befreundeten Museumsleiterin gelöst wurde. „Sie teilte uns mit, dass wir wohl eine Mikwe gefunden hatten“, erklärt Ute Fischer, Davon hatte sie noch nie gehört.

Vieles wissen die Eheleute Fischer mittlerweile über das im Ort als „Judenloch“ bezeichnete Tauchbad. Ein Geheimnis jedoch hat sich die Lüdenhauser Mikwe bis heute bewahrt: Wann wurde sie erbaut? Bestand sie bereits als das Straßenkötterhaus errichtet wurde oder wurde es später integriert? Der Inschrift des Torbalkens „Henrich Kufus und Annae Elisabet Sikers“ zufolge, wurde das Haus nicht von einem Juden, sondern einem Christen erbaut. Juden war jedoch der Erwerb von Haus und Grund untersagt. Die Anmietung fremder Gebäude sowohl zu Wohnzwecken als auch zur Einrichtung von Synagogen und Tauchbädern war daher gängige Praxis.

Der älteste Nachweis jüdischer Ansiedlung in Lüdenhausen datiert auf das Jahr 1707. Die letzte hier lebende Jüdin, Fanny Berghausen, starb am 12. April 1900. Der heute noch bestehende jüdische Friedhof zeugt zusammen mit der Mikwe vom jüdischen Leben vor Ort.

Falls Sie auch einen besonderen Ort „unter Lippe“ kennen, melden Sie sich bei uns per Mail an redaktion@lz.de


Die Mikwe

In Deutschland gab es seit dem Mittelalter Tauchbäder. Sie dienten weniger der tatsächlichen Reinigung, die in der Regel der Benutzung der Mikwe vorausgeht, sondern der spirituellen. Mit dem Eintauchen in „lebendiges“ Wasser wurden dem jüdischen Glauben zufolge sowohl Menschen als auch Gegenstände vom unreinen (tame) Zustand in den reinen (tahor) Zustand versetzt. Unreinheit war im jüdischen Glauben eng mit dem Tod verbunden. So galten Menschen, die sich mit einem Toten – und sei es auch nur für kurze Zeit – unter einem Dach befanden als unrein, ebenso von Nicht-Juden erworbene Gegenstände. Aber vor allem war der Besuch einer Mikwe Sache der Frauen, die in regelmäßigen Abständen als unrein galten – nämlich zu Zeiten ihrer Monatsblutung sowie nach Geburten. Sie suchten nach ihrer Menstruation bei Eintritt der Nacht die Mikwe auf. In dem zumeist unbeheizten Wasser stellten sie nach jüdischem Glauben mit einem dreimaligen Untertauchen und einem Segensspruch ihre Reinheit wieder her. „Koscher“ war das Wasser, wenn es von einem Bach oder aufgefangenem Regen- oder Tauwasser stammt und nicht von Menschenhand geschöpft wurde. Mikwes liegen daher oft in der Nähe eines Gewässers – so auch die Lüdenhausener Mikwe, die sich direkt aus der angrenzenden Osterkalle speist. (sf)

aus www.lz.de vom 15.11.2021

Kommentare sind geschlossen.